Stephan Trescher

Sonne, Mond und Beethoven
von Stephan Trescher

Thomas Prautsch und Meinhard Schulte, sie kennen und schätzen einander und es war ihre gemeinsame Idee, zusammen hier auszustellen. Ob ein Außenstehender auf diese Idee verfallen wäre? Dafür scheinen ihre beiden Positionen doch zu weit auseinanderzuliegen. Schon die zweigeteilte Einladungskarte kombiniert, besser: konfrontiert farblich zwar hübsch aufeinander abgestimmte, aber letztlich doch künstlerische Unvereinbarkeiten miteinander.
Auch in der Ausstellung setzt sich die Zweiteilung fort: Den vorderen Teil der Halle okkupiert Thomas Prautsch, der hintere Teil wird von den Gemälden Meinhard Schultes in Beschlag genommen.
Muß ich jetzt also eine Übung in Schizophrenie machen, mit gespaltener Zunge sprechen und dabei einen Spagat vollführen – oder geht es doch eine Spur bequemer?
Gilt es hier nur Einsamkeiten oder auch Gemeinsamkeiten zu bestaunen?

Natürlich letzteres: motivisch gesprochen z.B. die Naturnähe bei gleichzeitiger Menschenleere. Oder die Bedeutsamkeit und eigenständige Schönheit der Nahsicht auf der materiellen Ebene. Denn, um zunächst einmal das Offensichtliche aber heutzutage keineswegs Selbstverständliche zu konstatieren: Wir haben es hier bei aller Unterschiedlichkeit mit reiner Malerei zu tun.
Allerdings mit Malerei unterschiedlicher Geschwindigkeit. Das ist beileibe kein Qualitätsmerkmal, wie jeder weiß, der schon mal in irgendeiner Form kreativ tätig war. Dass die Ausführung am Ende blitzartig vonstatten gehen kann, bedeutet nicht, dass diesem Akt nicht zahlreiche lange Vorstudien, Überlegungen, gedankliche Vorarbeiten und praktische Erfahrungen vorausgegangen sein müssen, wenn er denn gelingen soll.
Und, nebenbei bemerkt, auch umgekehrt gilt, dass langes, zähes Ringen mit einem Text, einem Bild, einem Stück Musik und anschließendes Korrigieren, Feilen, Nacharbeiten nicht unbedingt bessere Ergebnisse hervorbringt.
Wir haben es hier aber sowieso nicht mit den Extremen auf einem solchen Tachometer der Kunst zu tun, mit Action-Painting oder zen-buddhistischer Kalligraphie auf der einen und, was weiß ich, miniaturhafter Elfenbeinschnitzerei auf der anderen Seite, wohl aber mit recht unterschiedlichen Herangehensweisen an das malerische Tun.

Meinhard Schultes Zugriff ist unmittelbar, dynamisch, einem Bewegungsimpuls folgend, dem immerhin die Widerspenstigkeit des Materials, also die Widerborstigkeit des Pinsels und der Farben, die aus vielen Skizzen vorab sich in der Vorstellung des Künstlers zusammengesetzt habende Idealvorstellung des Bildes und seine ausgeprägte Reflektiertheit entgegenstehen.

Thomas Prautsch geht dagegen verhältnismäßig bedächtig vor: In dünnflüsssigem, beinahe monochromen Farbauftrag wird eine Untermalung auf die Leinwand gebracht, in der Regel nach fotografischen Vorlagen, und dann erst beginnt die ganz allmähliche malerische Umsetzung in einem langwierigen, kleinteilige Pinselstriche addierenden Prozess.

Am deutlichsten nachvollziehen lässt sich das vielleicht an seinen Stadtansichten. Bezeichnend ist erst einmal die Fernsicht auf das Motiv, genauer gesagt die Vogelperspektive. Am häufigsten eine, die den Panorama -Blick mit dem teleskopischen Blick verschränkt, der viele Einzelheiten auf engem Raum perspektivisch zusammenstaucht und mehr als die Weite die Detailfülle betont. Als würde man sich von oben in die Häuserschluchten stürzen und als menschliches Aufklärungsflugzeug, wie ein touristischer Superman alles auf einmal und aus großer Nähe betrachten und bildlich festhalten.

Auf jeden Fall laden Prautschs Bilder zum Blick von Ferne ein, bieten dem Auge des Betrachters die Möglichkeit, umherzuschweifen. Wenn man dann aber näher tritt, kommt irgendwann der Punkt, wo man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, wenn man so nahe dran ist, dass man die Faktur des Gemäldes studieren kann, den Wechsel zwischen planen, fast trocken wirkenden Bildpartien und Stellen von wulstig bis pastos aufgetragener Ölfarbe, wo sich mitunter die unglaublichsten Nachbarschaften auf engstem Raum auftun, alle Gebäudeteile: Vorsprünge, Gesimse, Fensterbänke, Dachziegel, Fensteröffnungen sich ins vollkommen Gegenstandsferne verflüchtigen. Die jedoch mit ein bißchen Abstand absolut zwingend und quasi natürlich wirken und mit noch etwas mehr Abstand uns sogar gelegentlich die Freuden des topographischen Wiedererkennens gönnen, wenn die Bauwerke denn charakteristisch genug ausfallen, um Coerde, Köln oder Paris zu identifizieren.
Und wie ist das bei Meinhard Schulte? Überflüssig zu sagen, dass es vollkommen anders ist. Hier ist nichts zu identifizieren, auf Anhieb vielleicht noch nicht einmal etwas Konkretes zu erkennen, aber genausowenig wie Prautschs Malerei so gegenständlich ist, wie sie sich gibt, ist Schultes so abstrakt, wie sie tut.

Man wird nur direkt ins kalte Wasser geworfen, landet mitten drin im tiefsten Detail und muß sich erst langsam an die Oberfläche arbeiten.
Nehmen wir z.B. das unruhig wuselige, dunkle Bilderpaar, das in Idealform Schultes Begeisterung für lineare Bewegungen verkörpert. Es ist nicht klar, ob es sich dabei um mikro- oder makroskopische Strukturen handelt, es sind unruhige Muster in blau, grau und schwarz, dicht geschichtete lineare Verschlingungen, zwischen denen gelegentlich weiße Lichter aufblitzen, leuchtend blaue und pinke Farbinseln.
Es fällt leicht, sich darunter etwas fließend Bewegtes vorzustellen und noch bevor man Verlaufsspuren flüssiger Farbe auf der Leinwand entdeckt hat, wird ganz deutlich, dass Meinhard Schulte – Wasserbilder malt.
Und doch ist es überhaupt nicht einfach zu sehen, wo nun räumlich gesehen was ist, wenn wir versuchen das Bild plump naturalistisch zu sehen bzw. zu interpretieren: Wo ist die Oberflächenfarbe des Wassers, wo die Farbe des Grundes, den wir durch das Wasser sehen können, wo die Farbe des Wassers zwischen Oberfläche und Grund, wo die Lichtreflexe auf eventuellen Wellen, wo die Farben der Dinge, die sich auf der Oberfläche spiegeln, zu Schlieren und amorphen Formen verlaufen, egal ob es massive Gegenstände sein mögen wie Boote und Häuser oder übers Wasser hängende windbewegte Zweige?

Schultes malerische Aquaristik bleibt schwer zu entschlüsseln, er erfindet quasi einen abstrakten Impressionismus. .
Das gilt cum grano salis auch für die beiden, zunächst völlig undurchdringlich scheinenden, schwarz glänzenden Bilder mit den grellweißen Lichtstreifen.
Betrachten wir das dunklere der beiden; ich möchte es Schultes Mondscheinsonate nennen. Mit Beethoven im Hinterkopf allerdings eher als den dritten Satz bezeichnen, nicht den berühmteren ersten.
Soll heißen, es geht hier nicht so sehr um das sanft wogende Wohlgefühl, in dem herzschlaggleich pochende Rhythmen und kantable Linien hörbar bzw. sichtbar werden; kein Ort romantischer Sehnsucht, kein sanftes Plätschern des Sees, über den man nächtlich mit der Geliebten rudert; eher scheint es so, als würden sich die Wassermassen eines unruhigen Meeres zusammenballen, um aus der kabbeligen See sich demnächst zu hohen, sturmgepeitschten Wellen aufzutürmen – und wie in Vorwegnahme eines Blitzschlages wirft der Mond blendend helle Reflexe auf die Oberfläche.
Wobei gar nicht so leicht auszumachen ist, woher das Licht nun eigentlich kommt – ja, schon vom außerhalb des Bildes zu vermutenden Mond; aber wenn der die weißen Lichtspuren verursacht, woher kommt dann das blau gedämpfte Leuchten darüber? Sind es Spiegelungen desselben Lichtes, sich brechende Wellen, drängt es von unten an die Oberfläche oder sitzt es obenauf? Und wie ist das Verhältnis von Raum, Licht und Tiefe dann an der Bildoberfläche, die an manchen Stellen im dicken Auftrag der Ölfarbe glänzt wie nasser Lack, an anderen absinkt ins matt Lichtlose?

Das Beethovensche, dunkel grollende Anlaufnehmen zur Eruption findet sich auf andere Weise auch in dem Gemälde eines Baumes, der mit seinen wilden Schlieren und spannungsgeladenen Farbschichtungen als eruptiv dräuende Urgewalt daherkommt. Die Schlieren verdrehen sich zu einem mangrovenartigen Stamm, aus Wolkengebilden trieft dünnflüssiger, schwarzer Regen – und wäre das Gebilde unten nicht horizontal geerdet und mit lichtem Hintergrund versehen (der rechts oben in der Ecke sogar einen sonnigen gelben Akzent bekommt), kämen wir hier eher auf die Assoziation Vulkanausbruch mit Ascheregen und sonnenverfinsternden Staubwolken.

Hier vielleicht noch deutlicher als in Schultes zahlreichen Wasserstudien, Mondbetrachtungen und Widerscheinbildern wird deutlich, dass, bei allem äußeren Anlaß, dem stillen Betrachten und Skizzieren von Formen und Erscheinungen in der Natur,
seine Malerei viel eher die Züge einer Innenschau trägt als einer Abschilderung äußerlicher Phänomene – es sind zumindest auch zu Malerei geronnene Emotionen, seelische Bewegungszustände, die da Gestalt annehmen.

Und Thomas Prautsch? Wenn er keine Stadveduten malt, dann doch immer Landschaftliches im weitesten Sinne, jedenfalls Freiluftiges, auch wenn die Bilder im Atelier entstehen.
Selbst wenn es neben den Flüssen, Häfen, Städten und Vorortsiedlungen auch Elementares gibt wie seine Pfützen- oder Feuerbilder (die als Opposition zu Schultes Wasserbildern zu diskutieren ich mir strikt verboten habe, deren vielfältig lodernde Intensität und fast schon alchimistische Verwandlung von Farbvaleurs in schiere Energie zu bestaunen ich Ihnen aber durchaus ans Herz legen möchte).

In der Regel ist Prautschs Blick ein distanzierter, von weitem auf die Welt gerichteter.
Landschaftliche Schönheit im herkömmlichen Sinne ist dabei Nebensache. Er zeigt uns unspektakuläre, zersiedelte, industrielle Landschaften wie die hiesigen Kanalgegenden, von oben betrachtet, mit Brücken, Straßen, Lagerhallen, ein bißchen Wiese und viel Wasser. Eigentlich ein grüngraues Einerlei von geringem ästhetischen Interesse. Aber was der Maler daraus macht!
Ein Schauwert jagt den nächsten – und dann gibt es immer wieder diese Stellen, wo die Sonne einzelne Bildpartien so hervorhebt, daß von ihnen ein inneres Leuchten ausgeht, das auf das ganze Bild ausstrahlt. Diese rein malerischen, innerbildlichen Sonnen sind nicht selten im Wasser von Flüssen oder Kanälen versteckt, deren Grüntöne dann nur noch preziöse Assoziationen an Edelsteine zulassen, milchig bis seidig schimmernd oder klar und tiefgründig leuchtend in den Farben von Jade, Türkis und Smaragd.

Vereinfachend zusammengefasst lässt sich vielleicht sagen: Thomas Prautsch ist ein Maler der Sonne, Meinhard Schulte ein Maler des Mondes; beide sind sie Maler des Lichts. Sonst nichts.

Rede zur Eröffnung der Ausstellung von Thomas Prautsch und Meinhard Schulte:
von anderer weise in der Ausstellungshalle am Hawerkamp, Münster, am 4. 4. 2014